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Mittwoch, 23 November 2022

Belgisches Verfassungsgericht kippt DAC6-Meldepflicht: Rechtsanwälte dürfen sich unter gewissen Bedingungen auf ihr Berufsgeheimnis berufen!

Am 15. September 2022 entschied das belgische Verfassungsgericht über mehrere Anträge auf Nichtigerklärung der belgischen Umsetzung von DAC6 (Urteil Nr. 103/2022 vom 15. September 2022).

Das Verfassungsgericht hebt die föderale Umsetzung von DAC6 (Europäische Richtlinie 2018/822/EU) auf, die besagt, dass sich Intermediäre bei der regelmäßigen Meldepflicht von grenzüberschreitenden marktfähigen Gestaltungen nicht auf ihr Berufsgeheimnis berufen können. Darüber hinaus wird die Regelung aufgehoben, die es der Steuerverwaltung erlaubt, bei einem Intermediär die nach DAC6 zu meldenden Informationen zu überprüfen, ohne dass sich der Intermediär dabei auf sein Berufsgeheimnis berufen kann. Schließlich legt das Verfassungsgericht dem Europäischen Gerichtshof fünf allgemein formulierte Vorfragen zu DAC6 vor.

Das Urteil betrifft (vorerst) nur die föderale Umsetzung von DAC6

Die europäische DAC6-Richtlinie wurde sowohl auf föderaler als auch auf regionaler Ebene in die belgische Rechtsordnung umgesetzt. Von Beginn an wiesen mehrere Rechtsanwaltskammern und Interessenverbände (wie OVB, OBFG und BATL) darauf hin, dass die vorgesehene Meldepflicht, insbesondere für Rechtsanwälte, das Berufsgeheimnis verletzen könnte. Diese Kammern und Verbände schlossen sich Anfang Juli 2020 zusammen und reichten vor dem Verfassungsgericht mehrere Klagen auf Aussetzung und Nichtigerklärung ein.

Mit seinem Urteil vom 15. September 2022 entscheidet das Verfassungsgericht nun über die verschiedenen Nichtigkeitsklagen gegen die föderale Umsetzung von DAC6. Die föderale Regelung war die einzige, die noch nicht ausgesetzt wurde, da der Antrag auf Aussetzung ursprünglich verspätet eingereicht worden war.

Es ist logischerweise zu erwarten, dass das Verfassungsgericht bei der Überprüfung der Nichtigkeitsklagen gegen die regionale Umsetzung von DAC6 vergleichbare Standpunkte einnehmen wird.

Rechtsanwälte/Intermediäre sollten sich bezüglich der regelmäßigen Meldepflicht über marktfähige Gestaltungen auf ihr Berufsgeheimnis berufen können

Marktfähige Gestaltungen sind Gestaltungen, die angeboten werden, ohne dass wesentliche Anpassungen für den einzelnen Kunden erforderlich sind. Intermediäre, die an marktfähigen Gestaltungen beteiligt sind, können sich nicht auf ihr Berufsgeheimnis berufen, um von ihren anfänglichen und regelmäßigen Meldepflichten entbunden zu werden.

Die OVB hat bereits in seinen deontologischen Leitlinien klargestellt, dass Rechtsanwälte in ihrer beruflichen Praxis nur ausnahmsweise - um nicht zu schreiben nie - mit marktfähigen Gestaltungen konfrontiert werden. Schließlich ist die Aufgabe des Rechtsanwalts, eine auf den Mandanten zugeschnittene Lösung zu erarbeiten.

Für marktfähige Gestaltungen besteht eine doppelte Meldepflicht:

  • eine anfängliche Meldepflicht zu dem Zeitpunkt, zu dem die marktfähige Gestaltung zum ersten Mal angeboten wird;
  • eine regelmäßige Meldepflicht, die vierteljährliche Meldungen über Ergänzungen und Änderungen der marktfähige Gestaltungen vorschreibt.

Was die anfängliche Meldepflicht betrifft, so stellt das Verfassungsgericht fest, dass davon auszugehen ist, dass die zu erteilenden Auskünfte nicht unter das Berufsgeheimnis fallen. Auf das Berufsgeheimnis kann sich der Rechtsanwalt nämlich nur bei Tätigkeiten berufen, die unter den besonderen Auftrag der Verteidigung oder der Rechtsvertretung und der Rechtsberatung fallen. Das Verfassungsgericht hat also offensichtlich kein Problem mit der Erstanmeldepflicht für marktfähige Gestaltungen.

Anders verhält es sich mit der regelmäßigen Meldepflicht. Die in regelmäßigen Abständen zu übermittelnden Informationen könnten sich auf Tätigkeiten beziehen, die unter das Berufsgeheimnis fallen, da sie einzelne Akten betreffen können. Das Verfassungsgericht kommt ferner zu dem Schluss, dass die Verpflichtung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht.

Rechtsanwälte/Intermediäre sollten sich bei DAC6-Prüfungen der belgischen Steuerverwaltung auf ihr Berufsgeheimnis berufen können

Verweigert der Steuerpflichtige die Übermittlung der im Rahmen der Meldepflicht zu liefernden Informationen an die belgische Steuerverwaltung oder arbeitet er nicht ausreichend mit ihr zusammen, kann sich die Steuerverwaltung an die beteiligten Intermediäre wenden, um diese Informationen zu erhalten.

In Bezug auf die Einkommenssteuer kann sich der Rechtsanwalt/Intermediär in diesem Fall auf das Berufsgeheimnis berufen. Dies gilt jedoch nicht in Bezug auf die Registrierungsgebühren, die Erbschaftssteuer und weitere verschiedene Gebühren und Steuern in Belgien. Daher wird das DAC6-Umsetzungsgesetz in diesem Zusammenhang für nichtig erklärt.

***

Dieses erste Urteil des Verfassungsgerichts ist eine klare Bestätigung dafür, dass DAC6 das Berufsgeheimnis der Rechtsanwälte in mehreren Bereichen mit Füßen tritt. Es bleibt nun abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof über die verschiedenen Vorfragen entscheiden wird.

Gerd D. Goyvaerts - Partner (gerdd.goyvaerts@tiberghien.com)

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